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„Unser Weg“ zeichnet Bild des evangelischen Lebens der 1950er-Jahre

Geheimnisvolle Kirchenzeitschriften entdeckt

bonVergilbtes Papier, altbackenes Layout - aber hochinteressanter Inhalt: Die nun aufgetauchte Dekanatszeitschrift "Unser Weg" erschien vor einem halben Jahrhundert und gibt spannende Einblicke ins evangelische Leben der Region der 1950er- und 1960er-Jahre.

„Bleiwüsten“ – so werden im Zeitungsjargon dicht beschriebene, unbebilderte Seiten genannt, deren Leseanreiz, sagen wir mal, überschaubar ist. Die Zeitung „Unser Weg“ ist eine einzige Bleiwüste, und es erfordert schon ein gesundes Maß an Willensstärke, sich den schmucklosen Seiten näher zu widmen. Aber die Mühe lohnt. Denn „Unser Weg“ ist ein kleiner Schatz.

bonMargit Limpert, die Stellvertretende Vorsitzende der Dekanatssynode, Dekan Wolfgang Weik und Michael Müller, Vorsitzender der Dekanatssynode (rechts), schmökern in den Heften von "Unser Weg", einer nun aufgetauchten Dekanatszeitschrift aus den 1950er-Jahren.

"Unser Weg" ist die erste Zeitung für das Evangelische Dekanat Selters und damit eine wertvolle Zeugin des protestantischen Glaubens und Lebens im Westerwald der späten 1950er-Jahre. Jetzt sind fast 100 Ausgaben des Blattes per Zufall wieder aufgetaucht.

"Dekanatsztg. 0223"

Jahrzehntelang schlummern die Hefte im Evangelischen Gemeindehauses Selters – ohne dass jemand Notiz von ihnen nimmt. Als der Selterser Pfarrer Christian Elias und die Gemeindesekretärin Kerstin Pleitgen vor wenigen Wochen das Archiv sichten, fällt ihnen ein Pappkarton mit der Aufschrift „Dekanatsztg. 0223“ auf. In ihm: Dutzende vergilbte Ausgaben von „Unser Weg“. Christian Elias und Kerstin Pleitgen informieren das Dekanat Selters über den Fund, doch dort erinnert sich niemand an den „Weg“. Auch die Mitarbeiter der Propstei Nord-Nassau und sogar das Zentralarchiv der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau reagieren ratlos. Die im Impressum genannte Kontaktadresse in Dillenburg führt ebenfalls ins Leere: Dort haben heute die Siebenten-Tags-Adventisten ihren Sitz.

Von A bis Z verschlungen

Einer, der den „Weg“ noch kennt, ist der ehemalige Dekan des Dekanats Biedenkopf, Edgar Weigel. „Ich erinnere mich, dass die Zeitung die wichtigste Quelle für kirchliche Nachrichten in der Region war. Schließlich gab es damals nur wenige Gemeindebriefe“, erzählt er und vermutet, dass „Unser Weg“ Anfang der 1970er-Jahre eingestellt wurde. Bis dahin hatte das Heft allerdings viele treue Leser, meint Weigel: „Meine Eltern und meine Oma haben jedes Mal sehnsüchtig auf die neue Ausgabe gewartet und sie von A bis Z gelesen.“

Gesalzener Inhalt

Trotz des altbackenen Layouts: Die Zeitung hat es in sich und ist mehr als ein reines Info-Blättchen. „Unser Weg“ ist voller Berichte und kritischer Stellungnahmen zum aktuellen Zeitgeschehen der späten 1950er-Jahre. Ein Blatt, das klare Kante zeigt – was sicher auch an den beiden wohl bekanntesten Namen liegt, die im Impressum auftauchen: Propst Karl Herbert, Herausgeber der Zeitschrift, und Charlotte Petersen, Schriftleiterin. Propst Herbert ist eine zentrale Figur des evangelischen Lebens der Region und Namensgeber des Dekanatssitzes, des Propst-Herbert-Hauses in Selters. Er war in den 1930er- und 1940er-Jahren als Mitglied der Bekennenden Kirche entschiedener Gegner des Nationalsozialismus. Später wurde er Propst der Propstei Nord-Nassau, ab 1964 Stellvertretender Kirchenpräsident. Charlotte Petersen war eine engagierte Journalistin und eine passionierte Kämpferin für die Verständigung zwischen den Völkern und Religionen. Zu ihren besonderen Verdiensten gehörte die Gründung eines Hilfswerks, das sich für die Überlebenden des Konzentrationslagers Wapniarka einsetzt.

Atombomben, Todesstrafe und Preisrätsel

Die beiden haben dem „Weg“ ihren Stempel aufgedrückt: Die Texte ermutigen den Leser, über den Tellerrand zu blicken und sich mutig zum Glauben zu bekennen. Manchmal schwingt ein mahnend-missionarischer Unterton mit und oft nehmen die Autoren Bezug auf politische und gesellschaftliche Entwicklungen. Die Berichte warnen vor der atomaren Aufrüstung, sprechen sich klipp und klar gegen die damals diskutierte Todesstrafe aus, setzen sich für die unterdrückten Glaubensgeschwister in Osteuropa ein und ermutigen, in evangelisch-katholischen „Mischehen“ der eigenen, protestantischen Kirche die Treue zu halten. Abgerundet wird die Zeitung von einem Bibelleseplan, ausführlichen Andachtstexten, Preisrätseln und natürlich den Berichten aus den Kirchengemeinden der Region.

Neue Heizung in Nordhofen

In ihnen lesen wir zum Beispiel von der neuen Heizung in der Evangelischen Kirche Nordhofen, die 1958 den alten Ofen ablöst – ein Novum, das eine Arbeitserleichterung für den Küster und weniger Staub für die Gemeinde bedeute, freut sich „Unser Weg“. Ein Jahr zuvor vermeldet das Heft die Geburt eines „geborgenen Ortes der Liebe“ und meint damit die Einweihung des Evangelischen Kindergartens Freirachdorf. Oder es berichtet über die vielen Besucher des Reformationsfests in Wirges, zu dem 1957 „mit zwei Omnibussen fast alle Gemeindeglieder der Diasporadörfer Siershahn, Moschheim, Ober- und Niederahr“ kommen.

Urahn der Zeitschrift "Salz"

„Auch wenn das Layout, die Sprache und manche Themen heute etwas verstaubt wirken: Im Grunde genommen ist ,Unser Weg’ der Urahn unserer heutigen Dekanatszeitschrift, des Magazins ,Salz’“, sagt Dekan Wolfgang Weik. „Beide fühlen sich in der Region verwurzelt, wollen auf ihre jeweilige Art und Weise Menschen jeden Alters fürs Evangelium begeistern, haben einen durchaus gesalzenen Inhalt und berichten über Themen jenseits der Kirchenmauern.“

Wichtiges Dokument der Kirchengeschichte

Nun überlegt das Dekanat, was mit den Heften geschehen soll. Denkbar wäre beispielsweise eine Art Treffen der Generationen in der nächsten Ausgabe der „Salz“, heißt es. „Unabhängig davon werden wir die Zeitschriften vernünftig archivieren und katalogisieren. Schließlich sind das wertvolle Dokumente der Kirchengeschichte“, sagt Präses Michael Müller. Manchmal schlummert selbst in einer Bleiwüste noch viel Lebendiges. (bon)

 

Meldungen aus „Unser Weg“

7. Juni 1959: Russische Forscher kämpfen gegen Schlaf

,,Seinen Freunden gibt’s der Herr im Schlafe’ steht in Psalm 127,2. Was die tun müssen, die nicht seine Freunde sind, geht aus folgender Meldung hervor: Russische Biochemiker haben jetzt angekündigt, dass sie die ersten Erfolge im „Kampf gegen den Schlaf“ erzielen konnten. Die Wissenschaftler arbeiten an der Entwicklung von Präparaten, durch die Ermüdungsstoffe im Körper neutralisiert und dadurch das Schlafbedürfnis des Organismus herabgesetzt werden soll. Nach Meinung der Forscher werden höchstens noch 30 bis 40 Jahre vergehen, bis der Mensch durch diese Präparate in die Lage versetzt wird, täglich mit zwei Stunden Schlaf auszukommen.“

17. März 1957: Ausblick aufs Jahr 2000

„Um das Jahr 2000 wird sich die Erdbevölkerung, die gegenwärtig zweieinhalb Milliarden Menschen beträgt, etwa verdoppelt haben, ohne dass deshalb die Völker Kriege um den Nahrungsraum zu führen brauchen. Voraussetzung ist freilich, dass die entwicklungsfähigen Gebiete für die moderne Technik erschlossen werden. (...) Im Jahr 2000 werden Europa und Amerika die Führung weiterhin eingebüßt haben. (...) Vor allem ist eine grundsätzliches Umdenken nötig: Die Auffassung, dass ein Volk nur leben kann, wenn es andere gewaltsam an der Entwicklung hindert, muss endgültig der Vergangenheit angehören.“

12. Mai 1957: Kirchenbunker als Zufluchtsort gegen Atomangriff

„Eine unterirdische Kirche, die im Atomkrieg als Luftschutzraum dienen kann, soll in der schwedischen Industriestadt Västeras gebaut werden. Ebenso wie die Kirche werden Gemeindesäle und Pfarrkanzel etwa 15 Meter unter der Erde liegen und durch Rolltreppen und Aufzüge erreichbar sein.“

14. September 1958: Leises Orgelspiel lenkt zu sehr ab

„Gegen leises Orgelspiel: Die Kirchenleitung der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau nimmt in ihrem Amtsblatt Bezug auf die in vielen Gemeinden geübte Gepflogenheit, die Taufhandlung, die Einsegnung des Brautpaares oder die Einsegnung der Konfirmanden durch leises Orgelspiel zu begleiten. Gegen diese untermalende Verwendung des Orgelspiels (...) sind jedoch erhebliche Einwendungen vorzubringen, da diese Untermalung kirchlicher Handlungen im Dienst einer falsch verstandenen Feierlichkeit steht (...). Das leise, untermalende Orgelspiel bei den genannten gottesdienstlichen Handlungen lenkt von der Verkündigung des Wortes Gottes ab.“

28. April 1957: Mensch ist Sklave der Arbeit

„Es gehöre zum Aufregendsten unserer Zeit, dass der Sonntag nicht mehr geachtet werde als Geschenk Gottes, sagte Oberkirchenrat Dr. Bergér, der Beauftrage der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau für Öffentlichkeitsarbeit bei Gelegenheit einer Tagung der Arbeitsgemeinschaft ,Kirche und Öffentlichkeit’ in Gönnern. Der Mensch sei nach dem Willen Gottes in einem Rhythmus von Arbeit und Ruhe hineingestellt; die Harmonie dieses Rhythmus’ sei aber bereits durch eine falsche Einstellung zur Arbeit gestört. Der Mensch von heute sei Sklave der Arbeit geworden, er tue sie nicht um ihrer selbst Willen, sondern er sehe sie als notwendiges Übel an, um Geld zu verdienen. Weil der Mensch nicht mehr ,fröhlich sei in seiner Arbeit’, habe er auch das Verhältnis zum Sonntag und zu seiner Freizeit verloren. Man müsse den Sonntag wieder als Geschenk Gottes recht gebrauchen lernen. Es sei ein Missbrauch des Sonntags, wenn man nichts anderes damit anzufangen wisse, als sich auch in der Freizeit wie im Alltag dem Tempo und der Hetze zu überantworten.“

8. Juni 1958: Nordirische Fußballer verzichten auch Weltmeisterschaft

„Von den weiteren Kämpfen um die Weltmeisterschaft im Fußball hat sich Nordirland zurückgezogen, obwohl es kürzlich im Ausscheidungskampf über Italien siegte. Der Zeitplan für die Stockholmer Endspiele hatte der nordirischen Mannschaft ein Spiel an einem Sonntag zugewiesen. Der Kapitän der Mannschaft erkläre jedoch, lieber würde Nordirland auf seine Chancen für die Weltmeisterschaft verzichten als die Sonntagsruhe brechen.“

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